Das Reeperbahn Festival ist wie ein alter Wein, es wird immer besser. War es früher ein Singer-Songwriter Festival, beleuchtet es nun alle Facetten zeitgenössischer Musik und verwischt gekonnt die Grenzen zu Kunst und Perfomance.
Mittwoch
Begonnen haben wir unsere Reise durch das Festival am Mittwoch auf dem Art-Space, das im Zeichen des Klimawandels stand. Auf einer Tafel fanden sich Handlungsanweisungen, was jeder einzelne beitragen kann- Platiktüten ablehnen, weniger online bestellen, Stückseife statt Shampooflasche. Auf einer anderen Tafel waren die heren Ziele der Vereinten Nationen abgebildet. Leider kontakarierte die Tafel Nummer 8 das ganze. Wirtschaftswachstum ist mit den Zielen erfahrungsgemäß nicht vereinbar. Verzicht ist die Lösung. Herrlich war der Wohncontainer von Heinz Strunk, der selber als Aufsteller mit Mundknebel auf dem Bett zu sehen war. Über eine Fotoinstallation konnte man dann ein Selfie schißen. Weiterhin konnte man natürlich Kunst erwerben. Verschiedene Rapper boten ihre Fotos für einen guten Zweck an.
Das Art Village war in diesem Jahr ernster und nicht so verspielt wie im letzten Jahr. Sind ja auch ernste Zeiten.
Weiter ging es mit Kunst in das Erotic Art Museum, wo das Künstler Duo Roman Gilz und Gordon Nikolic ihre Ausstellung “The Sound of Burlesque” zeigten. Sie hatten die Burlesque Stars, der Serie “Home of Burlesque” auf der Bühne und Backstage fotografiert. Teilweise wurden diese Bilder auch mit Farbe verfremdet. In der gut besuchten Vernissage auf der sich viele Festivalvesucher einfanden, spielte auch Ex- Rudolf Rock und die Schocker Gitarrist Mickey Wulf seinen Tarantino Sound. UK-Star Felicity Felicis improvisierte dazu eine sexy Burlesque Einlage. Die Ausstellung ist im Museum noch bis März 2020 zu sehen.
Donnerstag
Das erste musikalische Highlight hatten wir am Donnerstag DRAHLA hieß das Trio, das auch für den Anchor Award nominiert war. Im voll besetzten Nochtspeicher sorgten die Briten für Gänsehaut, denn ihr haunted Sound ging unter die Haut. Die schnelle Punk-Gitarre der Sängerin wurde durch den wummernden Sound ihrer Nebenleute noch eindringlicher. Dass ihre rauhe Frauenstimme zwischen Gesang und wütenden Anklagen a la Anne Clark wechselte, machte den Gig noch heftiger. Sonic Youth wären begeistert. Das Publikum goutierte jeden Song mit wilden Ovationen, sobald es aus ihrer Trance gerissen wurde. Seltsam, dass es draußen noch hell war, bei so viel Dark-Sound.
Zu Erholung gingen wir in die Pooca Bar. SONGS OF BODA hieß der schwedische Singer Songwriter. Auch wenn die Lieder melancholisch und voller Tristesse waren, wirkten sie nach dem eben erlebtem seltsam fröhlich. Wir ließen uns davon verführen und erden.
Doch das sollte nicht lange wirken. Denn im Grünspan wartete die Formation HATARI (dt. Hass) auf uns. Das Trio aus Island, das schon beim diesjährigen Eurovision Song Contest irritierte und mit “Free Palestine-Devotionalien” Gastgeber Israel düpierte, zelebrierte eine musiklische Apocalypse. Die beiden Frontmänner erschienen in einem Mad Max Outfit, dass es so nicht mal in der Boutique Bizarre gibt. Wobei es eine klare Rollennverteilung gab. Matthías Haraldsson mimte den Bad Guy, der mit stierem Blick das Publikum fixierte, während Klemens Hannigan den Gay mit hoher Stimme gab, der sich selbstverliebet in einem Laserkranz inszenierte. Zu dem brachialen Elektrosound gab es Einspieler von Nachrichtensendungen, die gewohnt unterkühlt vom Armageddon berichteten. Der Gig der Nordmänner, die zeitweise von zwei Sängerinnen/Performerinnen unterstützt wurden, machte etwas ratlos. Denn Singen konnten beide nicht, aber das beklemmende Gefühl, das alles auf der Welt egal ist, blieb.

Also Mund abwischen weiter oder besser zurück in die Pooca Bar.
Dort offerierte die schwedische Zweimannfrau-Combo PINK MILK eine düstere Version der Courettes. Drums und Gitarre reichten, um uns in eine Zwischenwelt zu holen, in der Charon oder Sauron das Sagen haben. Das geniale an dem Sound der Schweden ist, dass die befreite Gitarre Lust auf Abenteuer macht, während die düsteren Drums fast prophetisch in den Abgrund zeigen. Wir eilten dann schnell ins Häkken zum Press Club, doch da war selbst für die Delegates Einlassstopp. Überhaupt war es ein Erfahtung des Festivals, dass wir oft vor vollen Clubs standen. Das nächste mal wird großzügiger getaktet.
Freitag
Wir starteten den Freitag im Thomas Read. CATASTROPHE hieß die siebenköpfigen Gute Laune Combo aus Frankreich. Die sehr drumorientierte Formation in bunten Klamotten war unberechenbar. Jeder Song klang anders. Von lustigem Pop bis zu niederschmetternden sphärischen Balladen war alles dabei. Bei dem Song “Party in my Pussy” flippten im Club alle aus. Einzig die Bühnenshow war gewöhnungsbedürftig, denn man hatte das Gefühl der Animation in einer Kindersendung beizuwohnen.
Ganz anders das Schweizer Duo IKAN HYU, das im Häkken auftrumpfte. Anisa und Hannah lernten sich über das gemeinsame Kunststudium kennen und entschlossen sich dazu Perfomancemukke zu machen. Ausgestattet mit Synthie, Drumpads und Gitarre inszenierten die beiden einen Soundcore, der temporeich zwischen Hiphopeinlagen, Gitarrensoli und Amy Winehous-Electro-Pop wechselte und das innerhalb eines Songs. Dass beide auch alle Instrumente bedienen konnten, machte die irre Show komplett und vielseitig. Unvergessen das Finale wo beide mit beleuchteten Tiefsee-Angelerfisch-Hauben über die Bühne jagten und das Konzert in eine wilde Technoparty eskalierten. Hier spürte man die pure Freude am Experimentieren. Ladies wir behalten euch im Auge.
Wir wollten dann den Schluss der im Bahnhof Pauli spielende Charlotte Lewis sehen, aber wieder hieß es Einlaßstopp. Na gut, morgen spielt sie ja nochmal.
Also ab in den Nochtspeicher zu MOYKA, einem weiteren Kandidaten für den Anchor Award. Die Norwegerin mit der wallenden Mähne sorgte mit ihrem synthieunterstützen Folkpop für ein mitwippendes Publikum. Dominiert wurde fast jeder Song durch ihre klanghelle Stimme, die vor allem im Song “Colder” ihre ganze Bandbreite aufzeigte. Erzählend, anklangend, liebend. Schade, dass es nach einer halben Stunde schon vorbei war. Es war gerade so herrlich kuschlig auf dieser Klangreise in den hohen Norden.
Um wieder Festivaltempo aufzunehmen stellen wir uns vor den Bazooka Bus und genossen das Remidemmi auf dem Spielbudenplatz. Um diesmal nicht den PRESS CLUB zu verpassen, eilten wir ins Molotow Backyard. Und es lohnte sich. Die erfolgreichen Australier rockten den Hof. Frontfrau Natalie Fosters machte dabei alle kirre, als sie die erste Reihe mit ihrem Hit “Get Better” anschrie. Überhaupt machte die Band Dauervolldampf. Gitarrenlastiger Punkrock schnörkelos und eingängig.
Danach begaben wir uns zu einem inoffiziellen Reeperbahnbeitrag zum Festival – die Fuity Beatz Party im Club 25 – der Platfform für junge Künstler, denn im kukuun war mal wieder Einlaßstopp.