Liebe, Sünde, Freiheit: Der Kiez und die Prostitution

Die Reeperbahn in Hamburg: sündig, anrüchig und schön. Eine Projektionsfläche für Träume und zuweilen auch Albträume. Die 930 Meter lange Straße und ihre Umgebung gelten nicht umsonst als „sündigste Meile der Welt“. Dort reihen sich Bars, Nachtclubs und Kneipen in schier unglaublicher Dichte aneinander. Wer diese Welt betritt, kann verloren gehen und sich wiederfinden.

Parallel zur Reeperbahn verläuft die berühmt-berüchtigte Herbertstraße, die nur zu Fuß betreten werden kann und in der Prostituierte in Schaufenstern ihre Dienste anbieten. Das Vergnügen und die Prostitution haben im Kiez eine lange Geschichte: Bereits im späten 18. Jahrhundert siedelte sich die Parallelwelt von Gauklern und Spielbudenbetreibern in dem Gebiet vor den Stadtmauern an. Und wo ein Vergnügungsviertel entsteht, entsteht in der Regel auch ein Angebot für Erotik und Sex.

Abgesperrt und doch immer offen: die Herbertstraße in Hamburg


Lange Geschichte der Prostitution

Die Prostitution in Europa und speziell in Hamburg kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: nicht umsonst gilt sie als „das älteste Gewerbe der Welt.“ Bereits im Altertum gab es eine Form des Liebesdienstes, die allerdings damals eng mit der Religion verbunden war. Bei der sogenannten Tempelprostitution im alten Babylon mussten alle jungen Frauen einmal mit einem fremden Mann schlafen und danach eine Spende für den Tempel einsammeln. Der kultische Sinn und Zweck bestand dabei darin, die Fruchtbarkeitsgötter durch den Geschlechtsverkehr mit der Priesterin gnädig zu stimmen.

Aus Hamburg ist bekannt, dass es schon im 13. Jahrhundert Bordelle gab. Denn im mittelalterlichen Europa war die Prostitution meistens geduldet, wiewohl bereits damals schon reguliert und auf Bordelle oder Badehäuser beschränkt. Im Jahre 1428 existierten in Hamburg laut Aufzeichnungen acht sogenannte „Frauenhäuser“, in denen Liebesdienste angeboten wurden. Prostituierte mussten im Mittelalter zwar meist ein Abzeichen oder eine bestimmte Kleidung tragen, um sich erkennbar zu machen. Aber sie waren keineswegs ausgestoßen oder machtlos: Ähnlich wie heute organisierten sich die Liebesdienst-Anbieterinnen in den Städten und bildeten Interessensgemeinschaften, um ihre Rechte zu wahren.

Wer heute Liebesdienste buchen will, hat es viel leichter und muss nicht unbedingt nach Hamburg reisen oder ein Frauenhaus besuchen. Auch in Frankfurt, Mainz und Wiesbaden sind erotische Frauen in reizvoller Aufmachung verfügbar, die auf Wunsch sogar ins Haus oder ins Hotel kommen – und das 24/7.


Entstehung des Vergnügungsviertels

Erst im 17. Jahrhundert änderte sich aufgrund der Reformation und der zunehmenden Verbreitung von Syphilis die relativ liberale Einstellung. Überführte Prostituierte wurden in Hamburg in das sogenannte „Spinnhaus“ am Alstertor gesteckt und mussten dort Zwangsarbeit verrichten. Andere wurden an den Schandpfahl gebunden und der Öffentlichkeit als Ermahnung gegen die Unzucht präsentiert. Doch wie bereits so oft in der Geschichte bestand das „älteste Gewerbe“ aller Verfolgung zum Trotz weiter. Die Prostituierten wichen einfach aus und siedelten vor die Stadtmauern um. Vor dem Millerntor entstand eine gesetzlose Gegend, in der sowohl das Verbrechen als auch das Vergnügen seinen Platz fand.

Ironischerweise war es gerade der napoleonische Krieg, der eine Erleichterung brachte: Napoleons Truppen waren nach den langen Feldzügen ausgehungert nach weiblicher Nähe und Sex. Als sie 1806 die Stadt besetzten, entstanden zahlreiche neue Bordelle. 1863 gab es in Hamburg eine Rekordzahl von 180 Bordellen und 1047 Prostituierten. Allerdings sollte die Stimmung bald umschlagen: Das strenge preußische Gesetz verlangte nach der Reichsgründung 1871 die Schließung aller Hamburger Bordelle. Diesem Schicksal entgingen die Freudenhäuser aber durch einen schlauen Schwindel: Sie benannten sich einfach in „Beherbergerhäuser“ um und durften somit geöffnet bleiben.

Um der explosionsartigen Vermehrung der Bordelle Herr zu werden, beschränkte die Stadt ab 1880 alle Bordelle auf bestimmte Straßen: Eine davon ist die Heinrichstraße in St. Pauli, die heutige Herbertstraße. Seit dem ersten Januar 1900 ist St. Paulis Bordellbetrieb auf diese eine Straße begrenzt und hat ihr dadurch zu weltweiter Berühmtheit verholfen. Denn obwohl diese Straße auf beiden Seiten abgesperrt ist, ist sie doch immer geöffnet. Hier fahren keine Autos, aber es herrscht Verkehr. Heute sind auf der berühmtesten Straße des Kiezes um die 200 Frauen tätig, deren Ziel es ist, fast alle erotischen Wünsche zu erfüllen. Ob verruchte Romantik, Kuschelsex oder Domina – es gibt wenige Spielarten, die die Frauen der Herbertstraße nicht zu erfüllen bereit sind.
Das Geschäft mit der Liebe hat eine lange Tradition

Das neue „ProstSchG“: Viel Gesetz, wenig Schutz

Und das, obwohl die Prostituierten derzeit schwere Zeiten durchmachen: Das neue, im Juli 2017 erlassene Prostituiertenschutzgesetz wird von vielen als ungerecht und diskriminierend empfunden. Dieses Gesetz besagt unter anderem, dass Prostituierte sich bei der zuständigen Behörde vorstellen und ein verpflichtendes Beratungsgespräch in Anspruch nehmen müssen. Danach können sie sich den sogenannten „Hurenpass“ – die behördliche Genehmigung – ausstellen lassen und eine Gesundheitsberatung vornehmen. Zusätzlich gilt neuerdings eine Kondompflicht für gewerblichen Geschlechtsverkehr.

In einer Demonstration vor dem Berliner Rathaus trotzten am 12. Dezember zahlreiche Prostituierte den winterlich kalten Temperaturen. Viele von ihnen hatten Plakate gebastelt, auf denen Sprüche wie „Sexarbeit ist auch Arbeit“, „Staatliche Zuhälterei abschaffen“ oder „freie Berufswahl – haha“ standen.

Viele Arbeiterinnen der Branche empfinden, dass das neue Gesetz ihnen wenige Vorteile bietet – im Gegenteil. Fabienne Freymadl vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen meint, dass „die Situation von Sexarbeitenden in Deutschland drastisch verschlechtert“ würde. Denn während freiwillige Sexarbeiterinnen nun zusätzlichen Gängelungen ausgesetzt seien, werde rein gar nichts gegen Zuhälterei und Menschenhandel ausgerichtet. Um diese effektiv zu bekämpfen, wäre es notwendig, Betroffenen von Menschenhandel ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht zu gewähren, möglicherweise verbunden mit einem möglichen Familiennachzug.

Allem Frust zu Trotz bewiesen die Sexarbeiterinnen auf der Demonstration aber auch Humor: Viele von ihnen kündigten an, sich einen falschen „Hurenpass“ auf den Namen „Alice Schwarzer“ ausstellen lassen zu wollen. Die deutsche Feministin ist dafür bekannt, Prostitution generell als Ausbeutung zu verurteilen und Sexarbeiterinnen als Opfer zu sehen. Doch die selbstbewussten Prostituierten auf der Demonstration wehrten sich entschieden gegen diese Ansichtsweise: Sie treten für ihr Recht ein, erotische Dienstleistungen legal, freiwillig und ohne gesellschaftliches Stigma anbieten zu dürfen.


St. Pauli: Vergnügen, Sünde und Vergessen

Denn wiewohl sich der gesellschaftliche Umgang mit der käuflichen Liebe im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt hat, war diese nie auszurotten. St. Paulis Legende gründet auf der faszinierenden Zwielichtigkeit des Viertels. Gerade in einer Welt, in der alles immer mehr reguliert wird, besteht eine Sehnsucht nach solchen Nischen der Freiheit und Zügellosigkeit. St. Pauli steht für Sünde und Vergessen, für Rausch, Verbrechen und Vergebung. Für unendliche Möglichkeiten. Möge es uns lange erhalten bleiben.

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